
Pieta
So seh ich, Jesus, deine Füße wieder,
die damals eines Jünglings Füße waren,
da ich sie bang entkleidete und wusch;
wie standen sie verwirrt in meinen Haaren
und wie ein weißes Wild im Dornenbusch.
So seh ich deine niegeliebten Glieder
zum erstenmal in dieser Liebesnacht.
Wir legten uns noch nie zusammen nieder,
und nun wird nur bewundert und gewacht.
Doch, siehe, deine Hände sind zerrissen-:
Geliebter, nicht von mir, von meinen Bissen.
Dein Herz steht offen, und man kann hinein:
das hätte dürfen nur mein Eingang sein.
Nun bist du müde, und dein müder Mund
hat keine Lust zu meinem wehen Munde-.
O Jesus, Jesus, wann war unsre Stunde?
Wie gehn wir beide wunderlich zugrund.
Rainer Maria Rilke
1875-1926

worterblühen
zu manchen zeiten
weht mir ein wort zu
und blüht
zwischen den zeilen
ich möchte es pflücken
und legen
zwischen die seiten
meines lebens
behutsam
damit die blüte nicht vergeht
und
wenn es getrocknet
werde ich es netzen
mit einer träne
dann und wann
gedenken
der tage
die zurückliegen
und doch das glück
in mir zum leben erweckten
© claire delalune und hugin

Wie ich dich liebe
Deine Grenzen zu erkennen
Deine Ränder zu küssen
Deine Zäune abzubauen
Deine Ecken zu umfließen
Deine Tiefen zu vertiefen
Deine Wege zu erkunden
Deine Abwässer zu klären
Deine Kanten abzurunden
Deine Höhen abzusichern
Deine Felsen zu verschieben
Das Licht der Welt
mit dir zu suchen
Das versteh ich unter
lieben
© evelyne w.

Und flüsterst du
Und flüsterst du
mir Mitternacht ins Haar
und wärmst das Nackt
mit deinen Händen
Nicht Stern nicht Glanz
holst du herab
flichtst Zärtlichkeit allein
in unsere Glieder
Hältst so das Grau
der Tage fern, singst
mir ein Zart
auf meine Lider
© Beatrix Brockman
dieses gedicht gibt es
gelesen von der autorin
auch als mp3 zum anhören.

achten
Sprich mir nicht
von Schicksalsfügung,
teile meinen Zorn!
Erzähl mir nicht
von Wunscherfüllung,
halte meine Trauer aus.
Sag mir nicht:
Alles wird gut,
lass mich einfach
weinen.
© elsa rieger

Für die Ewigkeit
Es könnte reichen...
Das Meer der Gelassenheit
flüstert sacht sein Wellenlied
durch meine Venen
Es könnte reichen...
Mein Bild von der Unsterblichkeit
bist du, so fremd und schön,
beständiges Geheimnis
Er könnte reichen
in die Ewigkeit
der Fluss jener Verlassenheit
der mich zu deinen Lippen trägt
Willst mir verraten wo du wohnst,
das weiß ich schon:
abgrundtief in mir.
© nicole paskow

Ich liebte dich
Ich liebte dich: vielleicht ist noch bis heute
In meiner Brust dies Feuer nicht verglüht;
Doch will ich nicht, dass sich dein Schmerz erneute -
Nichts soll fortan erregen dein Gemüt!
Ich liebte dich mit hoffnungslosem Schweigen,
Bald schüchtern, bald durch Eifersucht betrübt;
Ich liebte dich so innig, so treueigen -
Gott gebe, dass ein andrer dich so liebt!
Alexander Puschkin
1799-1837
Übersetzung: F. Fiedler

wort für wort
die muse, die mir einst
den arsch geküsst
ist längst schon fort
ich weiß nun
dass sie eine hexe ist
nur auf verdammnis aus
sie gaukelt einen
wort für wort
in eine welt, die alles,
alles will und nichts
verspricht
(außer der seele not)
die saugt und saugt
bis fäulnis jedes wort
befleckt und spitze zungen
dornenreich
durchs ohr ins hirn vordringen
blutend flüsternd
vom einzig wahren wort
doch mein geist
ist längst schon fort
wort für wort
© otto lenk

und doch …
unglaublich
sagst du
und schüttelst den kopf
und doch
es gibt diese wärme
und berührung
auch über die entfernung
mehr als gedanken
nähe
im herz
© claire delalune

weihnachtsweiß
weiß liegt der schnee
schnee-weiß!
die graue stadt ist fern
und auch der trubel
das gedröhn
die hast
und ihr gestöhn
die ruhe wächst
aus schneebedecktem wein
mein herz
es atmet stille
mein blick sieht freiheit
schönheit
winterliche pracht
und tief aus mir
blüht weihnachtsfrieden
in die heilige nacht
© evelyne w.
liebe lyrikfreunde!
euch allen ein
friedliches weihnachtsfest und
ein liebevolles neues jahr!
Kompensation
Und ich
hülle mich in dein Handtuch
Und ich küsse
deine Zahnbürste
Sehe aus meinem Weihnachtsstern
Fliederblüten wachsen
Fasse den Kieselstein
der aus deinem Stiefel gefallen ist
in eine Umrahmung aus Licht
Und hänge ihn an die
goldene Kette meiner Sehnsucht
Oder
küsse ich
den Kieselstein?
Hülle das Handtuch
in meinen Weihnachtsstern?
Umrahme meine Sehnsucht
mit goldenen Fliederblüten?
Und bürste meine Zähne
mit der Erinnerung an deine Küsse?
Egal -
Denn in Wahrheit
liebe ich
das Licht
das aus deinem Stiefel
auf meinen Weg fällt
© evelyne w.
herbstzeitgelöst
blattlos gebäumt
in den wind gereckt
nebelumflossen
kahlschwarz geschleckt
rotgelb gestraucht
in den wein gerauscht
träumebetrunken
wünsche gebauscht
herbstzeit gelöst
in die liebe getaucht
regengeküsst
himmel behaucht
© lylo

geschriebenes geschenk
liebste,
mein
deine worte berühren
ach so tief
in mir
mein herz
so warm
all meine gedanken
mag ich dir schicken
zum himmel hoch
den sternen
in den schoß legen
und sternenstaub
in deine träume rieseln
mögen sie kühlen
an heissen sonnentagen
dir spenden ein
wohlfühl-lächeln
im winterkalten
mit all der liebe
die ich
zu schenken vermag
aus meinem herzen
ach, mein lieb
süßeste
wärest du bei mir
wir könnten
spielen im garten
mit den schmetterlingen
uns dem rosenduft
hingeben
verführen lassen
fliegen
durch himmelsblau
dein,
dich vermissender
© sternenpferd

Kein Trost
Meinen Brieftauben
sind die Flügel beschnitten
meine Worte
verweht der Wind
Wer soll dich jetzt trösten
wenn du traurig bist
und von wem
sollst du träumen
wenn du Sehnsucht hast?
© Gerhard Rombach
development