
Herbsttag
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rainer Maria Rilke
1875-1926

Herzförmig
Herzförmige Gedanken
die auf Blütenmeeren schwanken
Sternschnuppen
die in meine Wünsche fallen
Träume
die sich aus rosa Wolken ballen
Erwachen
das wie Morgentau glänzt
Freude
die die Schule des Lebens schwänzt
Lachen
das sich wie Perlen reiht
Zeit
als Beginn der Ewigkeit
Tränen
die wie Glühwürmchen blinken
Feuer
die in der Sonne versinken
Ein Engel
der durch das Zimmer geht
Regen
der nur aus Rosen besteht
Feenhände
die Worte schenken
Sternchen
die das Schicksal lenken
Himmel
der vor mir niederkniet
Ich glaube fast…
Ich bin verliebt!
© evelyne w.
Müßiggang
Müßig war die Nacht
Kein Mond
Kein Stern
Kein Schmetterling
Der mich besuchte
Niemand
Der mich nach dem Weg fragte
So durchstreifte ich die Stunden
Ohne ein Wort zu sagen
Ohne ein Wort zu schreiben
Der Morgen kam
Kein Sonnenstrahl
Der mich küsste
So blieb ich stumm
© Wolfgang Schulze
Mauern aus Klatschmohn
Mauern aus Klatschmohn
Lassen den Blick
Erröten
Bist du es -
Was mich so
Bedenklich traurig
Macht
Oder habe ich nur
Meine einsamen Augen
Zu tief in die Sterne
Gehalten
Die saftigen Felder
Wie still ihr doch
An mir vorüber
Geht
Und der Himmel
Reicht uns ein Licht
Dem wir glauben
Bist du es –
Oder ich
© Ulrich P. Hinz
Dem aufgehende Vollmonde
Willst du mich sogleich verlassen?
Warst im Augenblick so nah!
Dich umfinstern Wolkenmassen
Und nun bist du gar nicht da.
Doch du fühlst, wie ich betrübt bin,
Blickt dein Rand herauf als Stern!
Zeugest mir, daß ich geliebt bin,
Sei das Liebchen noch so fern.
So hinan denn! hell und heller,
Reiner Bahn, in voller Pracht!
Schlägt mein Herz auch schmerzlich schneller,
Überselig ist die Nacht.
Johann Wolfgang von Goethe
1749-1832
Warteschleife
Ich frage dich -
Du antwortest nicht
Ich halte dich -
Du entfernst dich
Ich sorge mich -
Du meldest dich nicht
Jetzt hast du mich zu lange warten lassen
Die Warteschleife wählt eine andere Verbindung
© Sabine Fenner
Von Dir erzählte mir der Mohn
Von Dir erzählte mir der Mohn,
sich wiegend zwischen reifen Ähren –
sang seine Blüten-Weise schon
von Sonne, die den Traum wohl nähren
und wärmen wird. Sein satter Ton
umspielt des Hoffens zartes Wehen
Von Dir sang mir sein Rot wohl schon
und von ganz neu beglücktem Sehen.
© Petra Ohl
Guten Morgen mein Stern
Guten Morgen, mein Stern,
du träumst ja noch,
ich will dich auch nicht stören,
will reglos liegen neben dir,
dich leise atmen hören.
Nur mit den Augen möchte ich
dich überall berühren,
und wenn du etwas näher rückst,
auch deine Wärme spüren.
Kaum hörbar flüsternd werde ich
der Nacht den Schleier rauben,
deck dich mit meiner Liebe zu,
du mußt es nur erlauben.
© Petra Kollwitz

Abendgefühl
Friedlich bekämpfen
Nacht sich und Tag.
Wie das zu dämpfen,
Wie das zu lösen vermag!
Der mich bedrückte,
Schläfst du schon Schmerz?
Was mich beglückte,
Sage, was war's doch, mein Herz?
Freude, wie Kummer,
Fühl ich zerrann,
Aber den Schlummer
Führten sie leise heran.
Und im Entschweben,
Immer empor,
Kommt mir das Leben
Ganz, wie ein Schlummerlied vor
Christian Friedrich Hebbel
1813-1863


morgen
sanft küsst der junge tag
die altersmüde nacht
legt morgenröte auf ihre wangen
und ehe du noch nachgedacht
hat licht des neuen dich umfangen
und im ewigen spiel der zeit
bist auch du gefangen
© heinz spicka

Was du bist
Du bist nicht
was du tun willst
Du bist das
was du tust
Du bist nicht
was du sagst
Du bist das
was du tust
Du bist nicht
was du denkst
Du bist das
was du tust
Du bist nicht
einfach
was du bist
Du bist das
wofür du dich entscheidest
es zu tun
© evelyne weissenbach

Wer je gelebt in Liebesarmen
Wer je gelebt in Liebesarmen,
Der kann im Leben nie verarmen,
Und müsst er sterben fern, allein,
Er fühlte doch die sel'ge Stunde,
Wo er gelebt an ihrem Munde,
Und noch im Tode ist sie sein.
Theodor Storm
1817-1888
Bittersüße Sehnsucht
Umarmung
unter den hohen Buchen
am Steilhang
nahe dem schlafenden Meer,
dort,
wo Windröschen
alte Pfade säumen.
Küsse
bei den Fischerkähnen,
die, seit Jahren pensioniert,
traurig ächzend
am Strand
von hoher Seefahrt
nur noch träumen.
Nachts
ist es hier menschenleer,
nur der Wind
flüstert mit deiner Stimme,
wenn ich
neben meinem Schatten
liege.
Mondschein bewacht
unruhigen Schlummer.
Im kühlen Sand
beim alten Kahn
ist die Luft würzig
und es riecht nach Teer.
Ich vermisse dich
so sehr ....
© Petra Kollwitz

Sonnenträume
Die Sonne schien
durch das Blattwerk,
da träumte ich
Kirschen an die Zweige,
da träumte ich
Kirschen an Deinen Mund,
da träumte ich Träume,
da träumte ich Erwachen,
da vergrub ich den Kirschkern
im Erdreich.
© Annette Gonserowski
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