
Möchte rollend das Blut aller Verliebten sein
Ich möchte mir Freuden
wie aus roten Steinbrüchen brechen,
Möchte Brücken schlagen
tief in die Wolken hinein;
Möchte mit Bergen sprechen
wie Glocken in hohen Türmen,
Wie Laubbäume ragen
und mit den Frühlingen stürmen
Und wie ein dunkler Strom
der Ufer Schattenwelt tragen.
Fiel gern als Abenddunkel
in alle Gassen hinein,
Drinnen Burschen die
Mädchen suchen und fassen.
Möchte rollend
das Blut aller Verliebten sein
Und von Liebe und Sehnsucht
niemals verlassen.
Max Dauthendey
1867-1918


Licht und Schatten
Schwarz ihre Brauen,
Weiß ihre Brust,
Klein mein Vertrauen,
Groß doch die Lust.
Schwatzhaft in Blicken,
Schweigend die Zung',
Alt das Missglücken,
Wunsch immer jung.
Arm, was ich brachte,
Reich meine Lieb',
Warm, was ich dachte,
Kalt, was ich schrieb.
Franz Grillparzer
1791-1872


Wechsel
Auf Kieseln im Bache da lieg ich, wie helle!
Verbreite die Arme der kommenden Welle,
Und buhlerisch drückt sie die sehnende Brust;
Dann führt sie der Leichtsinn im Strome danieder,
Da naht sich die zweite, sie streichelt mich wieder;
So fühl ich die Freuden der wechselnden Lust.
Und doch, und so traurig, verschleifst du vergebens
Die köstlichen Stunden des eilenden Lebens,
Weil dich das geliebteste Mädchen vergißt!
O ruf sie zurücke, die vorigen Zeiten!
Es küsst sich so süße die Lippe der Zweiten,
Als kaum sich die Lippe der Ersten geküsst.
Johann Wolfgang von Goethe
1749-1832

Und immer
Immer wieder
auf's Neu beginnen
Und immer wieder
lieben
Und immer wieder
geben
Und immer wieder
leben
© evelyne w.
Liebe Lyrik-Freunde!
Hiermit bedanke ich mich für eure Beiträge und Besuche
und wünsche euch einen guten Rutsch.
Ich freue mich auf ein Wiederlesen im Neuen Jahr!

Weihnachts-Sternzeichen
Der Stern meiner Liebe
wacht über dem Christkind
Und funkelt und strahlt
hinaus in die Nacht
Und er strahlt zurück
wieder in meine Augen
Und ich spüre
wie er in mir Wärme entfacht
Vertraut und klar
Wie jedes Jahr
Wenn ich die Freude
der Weihnacht erlebe
Weil ich ihr den Sinn
in der Liebe gebe
Dann seh ich den Himmel
Und in seinem Dunkel
erstrahlt ein helles Sternengefunkel
Weil nicht nur mein Stern
das Christkind bewacht
So erfahre ich
das Wunder der Hl. Nacht
Und Frieden breitet sich in mir aus
Stille und Ruhe erfüllen mein Haus
Ich höre jubelnden Engelsgesang
Und schaukle im leisen Glockenklang
sicher in meiner Lebenswiege
Weil ich am Weihnachtshimmel der Liebe
fand das trostreiche Bewusstsein
Ein Stern
unter vielen Sternen
zu sein
Nur so
ist die Finsternis zu besiegen
In deren Angst wir sonst verglühen
Im eigenen Glanz
die anderen zu sehen
Und mit ihnen
in die Liebe zu ziehen
Drum leuchte
du Stern
Und gib dein Licht
So hell du nur kannst
Und erlösche nicht
Aus Scham über jene
die dich nicht erkennen
Und deshalb in ihr Verderben rennen
Strahle und funkle
hinaus in die Nacht
Damit in uns allen
der Mut erwacht
Voll Demut
dort Frieden anzunehmen
Wo er sich unserem Dasein gibt
Und Liebe zu geben
Wohin wir es können
Denn nur so
wird der Hass in der Welt besiegt
Dann
ist das Wunder der Weihnacht vollbracht
Lasst uns folgen
dem Stern
der Hl. Nacht
© evelyne w.


Weihnachtslied
Frost klirre Glas!
Eisblumen blühn.
Raureif im welken Gras
Sprüht feurig Grün.
Fuchs, Has' und Reh
Hüllt warm das Winterfell.
Bald fällt ein Schnee
Und macht die Nächte hell -
Wiesel wird Hermelin.
Dompfaff ans Fenster pickt.
Herr, mach auch ihn
Warm wie von Woll' umstrickt.
Laut unser Weihnachtswunsch
Beim roten Toddyglas:
Schenk jedem Bettler Punsch
Und jedem Vogel Fraß!
Viel Brüder schweifen weit
In deiner Nacht verirrt.
Schaff uns die Zeit,
Wo jedem Heimat wird.
Schick uns die Not,
Eh' unser Herz erschlafft.
Gib täglich Brot
Jedem, der sich's erschafft.
Schür uns die Freud'!
Hell brennt die Sonn' ins Feld!
All sind wir reiche Leut'
Auch ohne Geld!
Hilf, dass der rechte Mann
Die rechte Frau sich find',
Und segne beiden dann
Ein Krippenkind.
Carl Zuckmayer
1896-1977
Mensch ärgere dich nicht
Wieder sind die Würfel gefallen,
wieder wurde ich hinausgekegelt,
wieder stehe ich am Anfang und warte ich
auf die richtige Zahl für den Neubeginn,
wieder sehe ich andere vorbeieilen, vorankommen,
während ich hier stehe,
wieder werde ich versuchen voranzukommen,
ohne andere hinaus zu werfen.
Es wird nicht immer klappen,
doch ich bemühe mich.
Aber
wenn ich aufhöre zu würfeln,
nicht stets aufs Neue beginne,
wenn ich nicht mit jeder Sechs meine Chance ergreife,
dann werde ich nirgends ankommen.
Dann werde ich da zurückbleiben, wo ich jetzt bin.
Es ist MEINE Verantwortung.
Den Fall der Würfel kann ich nicht beeinflussen,
die Züge der anderen nicht bestimmen oder voraussagen,
das Spielfeld nicht verlassen.
Die Regeln sind festgelegt,
und auch die Spielfarbe ist mir vorgegeben.
Doch
wie lange ich mitspiele,
wie oft ich neu beginne,
mit wem ich spiele -
bestimme immer ICH!
© Mario Andersch

Die Uhr zeigt heute keine Zeit
Ich bin so glücklich von deinen Küssen,
Dass alle Dinge es spüren müssen.
Mein Herz in wogender Brust mir liegt,
Wie sich ein Kahn im Schilfe wiegt.
Und fällt auch Regen heut ohne Ende,
Es regnet Blumen in meine Hände.
Die Stund’, die so durchs Zimmer geht,
Auf keiner Uhr als Ziffer steht;
Die Uhr zeigt heute keine Zeit,
Sie deutet hinaus in die Ewigkeit.
Max Dauthendey
1867-1918

Die Kraft der Müdigkeit
Wenn deine Stimme
sich in mein Ohr schlängelt
triefend vor Müdigkeit
Weil aus dem See
der Sorgen deiner Liebe
die klebrige Masse
deiner Angst
sich über dein Herz ergießt
und deine Handlungen erschöpft
Dann spüre ich
wie alles Denken
und meine Müdigkeit
zerschmelzend
im warmen See
meiner Liebe
untergehen
Und sich aus ihm
unerschöpflich
der Fluss meiner Zärtlichkeit
über dich ergießt
© evelyne w.


Der blühende Garten
Der blühende Garten
erstarrte
zur Steinwüste
Rosenblätter zerfielen
zu Staub
der Vergänglichkeit
Durch eine Tür
die fest verschlossen schien
ranken frische Triebe
© sigrid boos


Abschied der Vögel
Ade, ihr Felsenhallen,
Du schönes Waldrevier,
Die falben Blätter fallen,
Wir ziehen weit von hier.
Träumt fort im stillen Grunde!
Die Berg stehn auf der Wacht,
Die Sterne machen Runde
Die lange Winternacht.
Und ob sie all verglommen,
Die Täler und die Höhn –
Lenz muss doch wiederkommen
Und alles auferstehn!
Joseph Freiherr von Eichendorff
1788-1857

Licht
Achterbahnfahrende Gedanken
lassen mich glücklich sein.
Ich denke.
Ich bin.
Ich sehne.
Ich liebe.
Ich lebe.
Meine Sinne durchspüren den Herbst,
dessen goldene Blätter baumgelöst
auf mich herabregnen.
Ich will.
Ich kann.
Ich möchte.
Ich darf.
Die Sonne durchbricht meine Kälte,
setzt sich auf moosbewachsene Einsamkeit.
Ich atme,
Ich rieche,
Ich schaue,
Ich höre,
Ich fühle...
immer nur Dich.
© angelika gentgen


Augen in der Großstadt
Wenn du zur Arbeit gehst
am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit deinen Sorgen:
da zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? Vielleicht dein Lebensglück ...
vorbei, verweht, nie wieder.
Du gehst dein Leben lang
auf tausend Straßen;
du siehst auf deinem Gang,
die dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klingt;
du hast’s gefunden,
nur für Sekunden ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das? Kein Mensch dreht die Zeit zurück ...
vorbei, verweht, nie wieder.
Du musst auf deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Pulsschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
es kann ein Freund sein,
es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Es sieht hinüber
und zieht vorüber...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, Pupillen, die Lider -
Was war das?
Von der großen Menschheit ein Stück!
Vorbei, verweht, nie wieder.
Kurt Tucholsky
1890-1935


Nordwind
Ihr Rabenlieder die ihr mir den kalten Wind aus Norden singt,
was gäbe ich für frühen Winterschlaf,
für Höhlenwärme unter glitzerndem Eis.
Möcht Odins Klagen nur in Träumen hören,
entfliehen all dem bunten Grau (auch Herbst genannt).
Hab ich herbeigerufen die Zeitlose, die, die die Fäden schneidet?
Streich wirres Haar aus alter Stirn, ergeben in das Spinnrad das sie führt.
Verwundert dreht im Kreise die Schwester der Unendlichkeit,
die blanke Kugel Schicksal.
Und dort, in dem stillsten Winkel Midgards wartet sie,
die Ruhe hinter dem Sturm.
Ihr Rabenlieder die ihr mir den kalten Wind aus Norden singt,
lasst mich im Schlummer wiegen.
© anja millen
development