heinrich heine
Lotosblume
Wahrhaftig, wir beide bilden
Ein kurioses Paar,
Die Liebste ist schwach auf den Beinen,
Der Liebhaber lahm sogar.
Sie ist ein leidendes Kätzchen
Und er ist krank wie ein Hund,
Ich glaube, im Kopfe sind beide
Nicht sonderlich gesund.
Sie sei eine Lotusblume
Bildet die Liebste sich ein;
Doch er, der blasse Geselle,
Vermeint der Mond zu sein.
Die Lotusblume erschließet
Ihr Kelchlein dem Mondenlicht.
Doch statt des befruchtenden Lebens
Empfängt sie nur ein Gedicht.
Heinrich Heine
1797-1856
Und sprachen von Liebe viel
Sie saßen und tranken am Teetisch
Und sprachen von Liebe viel.
Die Herren, die waren ästhetisch,
Die Damen von zartem Gefühl.
"Die Liebe muss sein platonisch",
Der dürre Hofrat sprach.
Die Hofrätin lächelt ironisch
Und dennoch seufzet sie: "Ach!"
Der Domherr öffnet den Mund weit:
"Die Liebe sei nicht zu roh,
Sie schadet sonst der Gesundheit."
Das Fräulein lispelt: "Wieso?"
Die Gräfin spricht wehmütig:
"Die Liebe ist eine Passion!"
Und präsentieret gütig
Die Tasse dem Herrn Baron.
Am Tische war noch ein Plätzchen;
Mein Liebchen, da hast du gefehlt.
Du hättest so hübsch, mein Schätzchen,
Von deiner Liebe erzählt.
Heinrich Heine
1797-1856
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